Die Rückschau
aus: Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriss, S. 338f
„Wer in dieser Weise regelnd in sein Seelenleben einzugreifen sich bemüht, der wird auch zu der Möglichkeit einer Selbstbeobachtung kommen, welche die eigenen Angelegenheiten mit der Ruhe ansieht, als wenn sie fremde wären. Die eigenen Erlebnisse, die eigenen Freuden und Leiden wie die eines andern ansehen können, ist eine gute Vorbereitung für die Geistesschulung. Man bringt es allmählich zu dem in dieser Beziehung notwendigen Grad, wenn man sich täglich nach vollbrachtem Tagewerk die Bilder der täglichen Erlebnisse vor dem Geiste vorbeiziehen läßt. Man soll sich innerhalb seiner Erlebnisse selbst im Bilde erblicken; also sich in seinem Tagesleben wie von außen betrachten. Man gelangt zu einer gewissen Praxis in solcher Selbstbeobachtung, wenn man mit der Vorstellung einzelner kleiner Teile dieses Tageslebens den Anfang macht. Man wird dann immer geschickter und gewandter in solcher Rückschau, so daß man sie nach längerer Übung in einer kurzen Spanne Zeit vollständig wird gestalten können. Dieses Rückwärts-Anschauen der Erlebnisse hat für die Geistesschulung deshalb seinen besonderen Wert, weil es die Seele dazu bringt, sich im Vorstellen loszumachen von der sonst innegehaltenen Gewohnheit, nur dem Verlauf des sinnenfälligen Geschehens mit dem Denken zu folgen. Im Rückwärts-Denken stellt man richtig vor, aber nicht gehalten durch den sinnenfälligen Verlauf. Das braucht man zum Einleben in die übersinnliche Welt. Daran erkraftet sich das Vorstellen in gesunder Art. Daher ist es auch gut, außer seinem Tagesleben anderes rückwärts vorzustellen, z. B. den Verlauf eines Dramas, einer Erzählung, einer Tonfolge usw. — Das Ideal für den Geistesschüler wird immer mehr werden, sich den an ihn herantretenden Lebensereignissen gegenüber so zu verhalten, daß er sie mit innerer Sicherheit und Seelenruhe an sich herankommen läßt und sie nicht nach seiner Seelenverfassung beurteilt, sondern nach ihrer inneren Bedeutung und ihrem inneren Wert. Er wird gerade durch den Hinblick auf dieses Ideal sich die seelische Grundlage schaffen, um sich den oben geschilderten Versenkungen in symbolische und andere Gedanken und Empfindungen hingeben zu können.“
Literatur:
Martina M. Sam: Seelenübungen des Willens.
Rückschau und Selbsterziehung auf dem anthroposophischen Schulungsweg.