„Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ neu herausgegeben – „Andacht und Achtsamkeit“, herausgegeben von Andreas Neider – Forschungskolloquium in Mannheim über Yoga und Anthroposophie – Kongress Meditation und Wissenschaft in Berlin – Tagung in Stuttgart über Buddhismus und Anthroposophie – 3 x Radio Evolve – Weitere Kongresse und Kolloquien – Diesseits-Spiritualität. Von Anna-Katharina Dehmelt und Terje Sparby.
„Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ ist d a s grundlegende Schulungsbuch von Rudolf Steiner. Es enthält eine Vielzahl an Übungen und Ratschlägen und ist, verglichen mit vielen anderen Werken Steiners, relativ leicht zu lesen. Systematisch veranlagte Geister haben sich gelegentlich gestört an der eher unsystematischen Form des Buches, das aus Zeitschriftenaufsätzen hervorgegangen ist, die – trotz zwischenzeitlich immer wieder angekündigtem Schluss – durch 16 Nummern hindurch fortgesetzt wurden. Zu übersehen sind auch gewisse Inkonsistenzen nicht, beispielsweise das Lehrer-Schüler-Verhältnis betreffend oder die Geheimhaltung, die 1904, als Steiner an die Esoterische Schule der Theosophischen Gesellschaft anknüpfte, noch eine prägende Rolle spielte. Man merkt dem Buch an vielen Stellen an, dass sein Autor sich das Thema in mancher Hinsicht erst aneignet – eine geschlossene Form wird es erst in der „Geheimwissenschaft im Umriss“ erhalten, die dann viel weniger Übungen, dafür aber eine ausgeprägte und nachvollziehbare Systematik bietet.
Über viele Details der Entstehung und Bearbeitung des Buches gibt nun der von Christian Clement herausgegebene und kürzlich erschienene siebte Band der Steiner Kritische Ausgabe Auskunft, der neben „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ auch die unmittelbar anschließende Schrift „Die Stufen der höheren Erkenntnis“ enthält. Es ist kein Geheimnis, schreibt Gerhard Wehr im Vorwort, „dass Steiner sich in der fraglichen Zeit erst in die von ihm zu vertretende Theosophie einarbeiten musste. Von daher erklären sich mancherlei von ihm nicht eigens angegebene Anleihen aus dem bereits vorhandenen theosophischen Lehrgut, ehe er in der Lage war, das Vorhandene nach seinen eigenen Vorstellungen zu formen“. Alle diese Anleihen werden in einem ausführlichen Stellenkommentar nun nachgewiesen, ebenso wie die Bearbeitungsschritte, die das Buch zwischen 1904 und 1922 erfahren hat.
Darüber hinaus stellt Clement Steiners Schulungsbuch aber auch in eine dezidiert europäische Tradition,
die von der Antike über die christliche Mystik und den philosophischen Idealismus bis zu Steiners eigenen philosophischen Schriften reicht. Hieraus ergeben sich spannende Einsichten; vor allem wird spürbar, dass Steiner die europäische Tradition und sein eigenes Frühwerk wie einen inneren Kompass benutzt für einen Weg, an den sich manch theosophischer Standard zwar anlagert, aber nur, so weit er in den vom europäischen Kompass angezeigten Weg integrierbar ist. Man kann den Eindruck gewinnen, dass Steiner sein Anliegen für den Schulungsweg und die übend-meditative Entwicklung des Menschen ebenso in die theosophische Tradition einbettet, wie ein sich inkarnierendes Individuum sich in eine Vererbungsströmung einbettet und sich erst nach und nach als Individuum herausarbeitet: dabei kann manches individualisiert werden, anderes muss überwunden werden, und für wieder anderes ist in den Gegebenheiten zunächst überhaupt kein Platz. Diese ganze Situation wird durch Clements Stellenkommentare vergegenwärtigt und verlebendigt; wirklich sprechend wird sie wohl aber erst, wenn man sich die von Clement nur angedeutete Entwicklung des Schulungswegs bis zur „Geheimwissenschaft“ und darüber hinaus ebenfalls vergegenwärtigen kann.
Mittlerweile liegen schon eine Reihe von Rezensionen vor, die auch online zugänglich sind. Lorenzo Ravagli, von dem wichtige Vorarbeiten zur Integration des philosophischen Werks in die Konzeption des Schulungsweges und umgekehrt stammen, die Clement auch berücksichtigt (hier und hier), setzt sich mit Clements „Entmythologisierungsprogramm eigener Facon“ auseinander und fragt sich, wie vor diesem Hintergrund denn die von Steiner ja vielfach beschriebene Wahrnehmung geistiger Wesenheiten zu verstehen sein soll. Auch überzeugen ihn vor allem diejenigen Stellenkommentare nicht, die theosophische Anknüpfungspunkte betreffen – zu vage sei die Quellenlage und zu abhängig die hergestellte Verbindung vom Bildungshorizont des Lesers. Ansgar Martins – der auch auf neuere, von Clement nicht berücksichtigte Esoterik-Forschungen hinweist – wirft Clement vor, er würde „Sinn und Zweck von Steiners Geistesschau leugnen“, sie wo möglich auf Steiners philosophisches Werk reduzieren und „Steiner die Entwicklung nach 1900 absprechen“. Christian Clement hat zu diesen Vorwürfen eine kluge Replik geschrieben, die Ansgar Martins auf seinem Blog ebenfalls veröffentlich hat. Dennoch hätte man sich zum Thema Hellsichtigkeit noch etwas mehr Kontext gewünscht, denn auch hier scheint Steiner einen Aspekt der oben charakterisierten Vererbungsströmung aufgegriffen zu haben, den er ohne das theosophische Umfeld (wenn überhaupt) sicherlich anders formuliert hätte und spätestens 1917 in „Von Seelenrätseln“ auch anders formuliert hat.
Unsere eigene Besprechung erscheint im Januar-Heft der Monatszeitschrift Die Drei. Sie stellt in den Vordergrund, was man denn nun durch die Neuherausgabe tatsächlich über „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ erfährt.
Alle drei Besprechungen sind nicht frei von Kritikpunkten, aber insgesamt wohlwollend und sachlich. Gleiches gilt für die beiden Besprechungen von Wolf-Ulrich Klünker in „Anthroposophie“ und „Info3“, der sich Clements Parallelisierung von anthroposophischem Schulungsweg und Psychoanalyse bzw. analytischer Psychologie vornimmt (in der „Anthroposophie“) und Überlegungen zum Charakter einer zeitgemäßen Schulung anstellt (in „Info 3“). Eine vollständige und stets aktualisierte Übersicht über den Stand der Rezensionen findet sich auf der Website der Steiner Kritische Ausgabe.
Angemerkt sei noch, dass sich die neue Ausgabe mit ihren 600 Seiten für Forschungszwecke außerordentlich gut eignet. Um sich von Steiners Büchern aber zu eigener meditativer Praxis anregen zu lassen, sei weiterhin eine der herkömmlichen Ausgaben empfohlen.
„Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ enthält eine Reihe von Übungen, die sich auf Naturprozesse richten:
„Der Anfang muss damit gemacht werden, die Aufmerksamkeit der Seele auf gewisse Vorgänge in der uns umgebenden Welt zu lenken. Solche Vorgänge sind das sprießende, wachsende und gedeihende Leben einerseits und alle Erscheinungen, die mit Verblühen, Verwelken, Absterben zusammenhängen, andererseits.“
An eine genaue Anweisung zur Ausführung dieser Übung schließen sich dann weitere Übungen an, die sich auf die Welt der Töne bei Tier und Mensch richten, auf den Unterschied von Stein, Pflanze und Tier und auf ein Samenkorn. In Clements Stellenkommentar heisst es:
„Indem Steiner hier als erste Übung die Betrachtung von Naturvorgängen und die Kultivierung der sich dabei ergebenden Gefühle und Empfindungen empfiehlt, steht sein Schulungsweg demjenigen Jakob Böhmes nahe, der methodisch in ähnlicher Weise vorging und seinen Lesern in der ‚Aurora‘ empfahl ‚fleißig zu erwägen die Kräfte in der Natur‘. Ein weiteres historisches Vorbild, das aber Steiner wahrscheinlich unbekannt war, hat sein methodisches Vorgehen in der buddhistischen Praxis des Meditierens über die Elemente, in dessen Verlauf, nach dem kanonischen Text des ‚Vissudhi Magga (Der Pfad der Reinheit)‘ im Meditierenden innere ‚Gegenbilder‘ von Wasser, Feuer, Luft und Erde aufsteigen. In den Schilderungen des theosophischen Erkenntnispfades lassen sich vergleichbare konkrete Anweisungen zur Meditation über Naturprozesse nicht nachweisen.“
Zu ergänzen ist: auch wenn es eine innere Nähe zu Jakob Böhme oder auch einigen Alchemisten geben mag, so sind Steiners Übungen an Naturprozessen doch schon in ihrer ersten Fassung ganz eigenständige Schöpfungen, die wohl vor allem durch Steiners Beschäftigung mit Goethe inspiriert wurden, in Ansatz und Aufbau aber keinerlei Vorbilder haben. Sie bleiben allerdings auch in Steiners Werk nahezu singulär; Steiner wird später die Meditation von Vorstellungen, Sinnbildern und mantrischen Sprüchen in den Vordergrund stellen.
Die Frage nach dem Verhältnis von Wahrnehmungs- und Denkmeditation hat uns bereits in den vergangenen Newslettern verschiedentlich bewegt. Mittlerweile ist nun eine von Andreas Neider herausgegebene und eingeleitete Zusammenstellung erschienen, die sich unter dem Titel „Andacht und Achtsamkeit – Stufen des Wahrnehmens“ ganz den Wahrnehmungsübungen im Werk Steiners widmet. Hervorgehoben sei, dass Neider die Schulung der Wahrnehmung einbettet in Steiners Schilderung des sogenannten ‚Lichtseelenprozesses‘, der den Pendelschlag des Atems, wie er in der östlichen Meditation als Ausgangspunkt gepflegt wurde und wird, für eine moderne Schulung nun in den Pendelschlag zwischen Wahrnehmung und Denken verlegt. Genaueres zu dem Büchlein finden Sie hier.
Mit der gleichen Thematik setzt sich auch das vom Institut für anthroposophische Meditation und dem D.N.Dunlop-Institut veranstaltete Forschungskolloquium „Geistige Forschung denken“ auseinander – wir werden davon nach dem bevorstehenden dritten Treffen wieder berichten.
Um den Lichtseelenprozess ging es auch bei einem Kolloquium, das vom 10. bis 12. Oktober 2014 unter der Leitung von Angelika Schmitt am Institut für Waldorfpädagogik in Mannheim stattfand. Thema waren die Beziehungen zwischen Yoga und Anthroposophie. Mit Florian Heinzmann, einem ehemaligen Waldorflehrer, der heute in Köln lebt, und Bernhard Spirkl, Schüler von Heinz Grill aus Heidelberg, waren zwei Yoga-Lehrer anwesend, die beide auch die Anthroposophie gut kennen. So konnte es zu einer echten Begegnung zwischen den verschiedenen Ansätzen kommen, bei der es weniger um eine ausschließende Abgrenzung ging als um unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in einem Kontinuum.
Unter der übergeordneten Zielsetzung der Befreiung stellte Florian Heinzmann die acht Glieder des Yoga-Weges dar (nicht zu verwechseln mit dem achtgliedrigen Pfad des Buddhismus). Dessen drei letzte Stufen Dharana, Dhyana und Samadhi weisen eine gewisse Verwandtschaft mit den anthroposophischen Erkenntnisstufen Imagination, Inspiration und Intuition auf: zunächst geht es um Konzentration und das Halten von etwas in der inneren Betrachtung; daran schließt sich ein Mit-Strömen mit den nunmehr gebündelten Gedanken an, das schließlich in die vollständige Sammlung und die Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung mündet: jetzt leuchtet der Meditationsgegenstand von sich aus. Im Yoga werden allerdings alle auf diesem Wege eintretenden übersinnlichen Erfahrungen als Nebeneffekte angesehen, die dem eigentlichen Ziel der Befreiung untergeordnet, wenn nicht gar störend sind.
Mit dem vierten Schritt des achtgliedrigen Yoga-Pfades, dem Pranayama (Atemkontrolle) und dessen Verwandlung in einen neuen Yoga durch Rudolf Steiner beschäftige sich Klaus Bracker, als Spezialist ausgewiesen durch sein kürzlich erschienenes Buch „Yoga und lebendiger Logos“, in einem inhaltsreichen Vortrag. Die Übungen des Pranayama, die mit dem Anhalten des Atems sowie der Verkürzung oder Verlängerung von Ein- und Ausatmung zu tun haben und dabei die beiden an der Wirbelsäule entlanglaufenden Kanäle Ida und Pingala aktivieren, untersuchte Bracker sorgfältig hinsichtlich der Wirksamkeit von Sonne und Mond und verfolgte diese bis in den von Steiner als Lichtseelenprozess (im Unterschied zum Luftseelenprozess) vorgeschlagenen geistig-seelischen Atemrhythmus zwischen Wahrnehmung und Denken. Die ganze Gruppe führte dann eine Wahrnehmungsübung im Garten des Instituts für Waldorfpädagogik durch. Anschließend wurde immer wieder von einem erlebten Strömen berichtet, das den Wahrnehmenden mit dem beobachteten Baum in einen gemeinsamen Strom führte. Während aus der Perspektive des Yoga hierin schon eine Erneuerung des alten Yoga liegt, weil man sich überhaupt der Welt zuwendet und sich nicht nur von ihr zurückzieht, kam von anthroposophischer Seite die Frage, wie die gewonnenen Eindrücke zu vertiefen seien. Es sei doch ganz unwesentlich, vor welchem Baum man stünde, sagten die einen, während die anderen gerade das spezifische Strömen des Baumes noch genauer ins Bewusstsein heben wollten. Während sich die Anthroposophen hiervon eine tiefere Einsicht erhofften, konnte dieses Streben unter dem Gesichtspunkt der auf dem Yogaweg angestrebten Befreiung immer noch als unfreier Wunsch oder Drang nach Weltverbesserung interpretiert werden. Trotz dieser Unterschiede wurde die gemeinsam durchgeführte Übung von allen als außerordentlich bereichernd erlebt.
Die Vorträge des Kolloquiums sollen demnächst veröffentlicht werden – wir halten Sie auf dem Laufenden.
Die Achtsamkeitsmeditation wiederum stand im Mittelpunkt des dritten Kongresses „Meditation und Wissenschaft“ am 24. und 25. Oktober 2014 in Berlin, der sich unter dem Titel „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ in interdisziplinärer Weise die Erforschung von Meditation und Bewusstsein zur Aufgabe gestellt hatte. Aus anthroposophischer Sicht ein hoch spannendes Thema, das allerdings ohne anthroposophische Beteiligung ausgetragen wurde. Andreas Neider berichtet
– und wir danken ihm für den Gastbeitrag: Veranstalter der drei bisherigen Kongresse sind die Oberbergstiftung, die die Oberbergkliniken betreibt, die Identy Foundation, gemeinnützige Stiftung für Philosophie, das Schweizer Lassalle-Institut für Führungskräfte und die West-Östliche Weisheit Willigis Jäger Stiftung, die das Seminar- und Tagungszentrum Benediktushof bei Würzburg betreibt. Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates ist Prof. Dr. Michael von Brück, der am religionswissenschaftlichen Institut der Universität München unterrichtet und zugleich Zen-Meister ist. Die etwa 400 Besucher des Kongresses kamen überwiegend aus dem therapeutischen Bereich, aber auch aus der Wirtschaft. Das Kongressthema, die Frage nach dem Umgang mit Zeit, wurde am ersten Tag im Hinblick auf die Erfahrung der Zeit in der Meditation von gleich vier Vortragenden in unterschiedlicher Weise beleuchtet, wobei ein gemeinsames Stichwort, auch sonst auf dem Kongress omnipräsent, die „Achtsamkeit“ war. Achtsamkeit, von der heute in fast allen Medien ständig gesprochen wird, ist ein Terminus, der aus der buddhistischen Meditationspraxis stammt und der die spezifisch buddhistische Haltung der Bewusstseinserforschung kennzeichnet. In mehreren Praxiseinheiten wurde unter Anleitung der zenbuddhistischen Lehrerinnen Bhiksuni Dagmar Doko Waskönig und Dr. Anna Gamma gemeinsam meditiert, das heißt: in erster Linie auf den eigenen Atem geachtet. Denn die Achtsamkeitsmeditation beginnt in alter Tradition stets mit einer Hinwendung zum eigenen Atemfluss, der uns mit der Welt verbindet.
Durch mehrere musikalische Einheiten wurden die Teilnehmer durch den Trompeter Markus Stockhausen in die Welt der Töne mitgenommen, zugleich mit der Möglichkeit, im Gesang durch die eigene Stimme an der Welt der Töne zu partizipieren. Eine für einen wissenschaftlichen Kongress durchaus ungewöhnliche, doch sehr gut funktionierende Übpraxis.
Der Abend bot dann in Form einer Marktsituation die Gelegenheit, mit den zahlreichen Dozenten des Kongresses in ein vertiefendes Gespräch einzutauchen – auch das für einen Kongress eine ungewöhnliche und zugleich angenehme Form des Ausklingens. Der Organisatorin Dr. Nadja Rosmann gebührte für diese hygienischen Elemente der Kongressgestaltung ein besonderer Dank.
Der zweite Tag war dann der Meditationsforschung und der Frage nach den Auswirkungen von Meditation gewidmet. Hier zeigte sich ein ähnliches Problem, wie es etwa aus der Wirksamkeitsforschung von Heileurythmie oder anderen anthroposophischen Heilmethoden bekannt ist, dass nämlich aus der Perspektive der dritten Person über Nachweise nur schwer gesprochen werden kann, solange diese dritten Personen selbst über keinerlei Erfahrungen in dem untersuchten Bereich verfügt. Gerade das Untersuchungsfeld der Meditation erfordere, so Prof. Dr. Peter Sedlmeier, die Eigenerfahrung. So schlug er denn als wissenschaftliche Methode neben der üblichen Dritte-Person-Perspektive und der Eigenerfahrung in der ersten Person die Zweite-Person-Perspektive vor, bei der der untersuchende Wissenschaftler über eigenständige Mediationserfahrungen verfügt, aus denen er seinen Untersuchungsgegenstand, nämlich die meditierende Person, weitaus besser beurteilen und untersuchen kann.
Auffällig war bei diesem Kongress, dass von Meditation fast ausschließlich aus zenbuddistischer Perspektive gesprochen wurde und im Hinblick auf westliche Erfahrungen meist nur der Name des mittelalterlichen Meisters Eckart fiel. In einem Gespräch mit Prof. Michael von Brück antwortete dieser auf die Frage, warum es heute in Europa ein solches Übergewicht buddhistischer Meditationspraxis gäbe und nicht auch das gesellschaftlich durchaus erfolgreiche Konzept der Anthroposophie mehr Berücksichtigung fände, dass der Glaube an eine eigenständige, aus europäischer Tradition stammende Spiritualität bereits als Folge der erschütternden Erfahrungen des ersten Weltkrieges in vielen europäischen Geistern zerbrochen sei. Diese Erschütterung habe zu einer Abwendung von Konzepten europäischer Spiritualität, wie sie Steiner als einer der Wenigen tatsächlich zu realisieren versuchte, geführt und im Gegenzug zu einer Hinwendung zur östlichen Spiritualität. Ein erstaunliches Statement, besonders angesichts der hundertjährigen Wiederkehr des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges. Abschließend darf man den Veranstaltern dankbar sein, dass in einer Welt zunehmender Ökonomisierung, Rationalisierung und Digitalisierung dem Thema der Meditation und der Hinwendung zu spirituellen Erfahrungen ein so breiter Raum und gesellschaftliche Aufmerksamkeit verschafft wurde.
Bei dieser Gelegenheit möchten wir hinweisen auf eine Tagung vom 6.-8. März 2015 in Stuttgart, die unter der Überschrift „Meditation in Ost und West“ Buddhismus und Anthroposophie miteinander ins Gespräch bringt. Die Tagung ist mit Gernot Böhme, Michael von Brück, Thich Hue An und Volker Zotz insbesondere von buddhistischer Seite prominent besetzt – weiterhin wirken Rudi Ballreich, Arndt Bay, Urs Dietler, Anna-Katharina Dehmelt, Steffen Hartmann und Friederike Schinagl mit – und bietet in ausgiebigen Workshops Gelegenheit, sowohl den buddhistischen wie auch den anthroposophischen Ansatz kennenzulernen. Mit ihrem offenen und vielfältigen Angebot wird die Tagung auf anthroposophischem Boden ein Novum sein.
Zur Vorbereitung können wir einige Sendungen von Radio Evolve empfehlen, in denen jeweils verschiedene spirituelle Strömungen mit ihren Meditationspraktiken zueinander ins Verhältnis gesetzt werden: von Bruder David Steindl-Rast am 30.10.2014, von Michael von Brück am 6.11.2014 (Aufzeichnung vom 17.7.2014; gegen Ende geht es auch kurz um die Anthroposophie) und von Anna-Katharina Dehmelt am 20.11.2014. Die Sendungen können online nachgehört werden, man muss sich aber mit seiner E-Mail-Adresse anmelden.
Zu berichten ist noch von einigen weiteren Veranstaltungen – die Landschaft der anthroposophischen Meditation dehnt sich zur Zeit deutlich aus. In jeweils unterschiedlichen Besetzungen und Vernetzungen werden ähnliche Fragen bewegt und der Verständnishorizont schiebt sich allmählich voran. Es ist Evolution in Aktion, die man hier beobachten kann, und noch ist nicht ausgemacht, welche Paradigmen die künftige Beschäftigung mit Meditation bestimmen werden.
Vom 23. bis 29. August 2014 fand das erste “European Summer Research Institute” des Mind and Life Instituts in Europa auf der Fraueninsel im Chiemsee statt. Ungefähr 150 Professoren, Forscher und Doktoranden trafen sich in dieser idyllischen Umgebung,
um sich über Themen aus der sogenannten “kontemplativen Wissenschaft” auszutauschen. Die Unterkunft wurde vom Benediktinerkloster auf der Insel besorgt, und Frau Scholastika, die Äbtissin, begrüßte die Teilnehmer am ersten Abend mit dem Motto “Der Geist ist offen, das Herz noch mehr” und erinnerte daran, dass es den Benediktinern obliegt, jeden Gast willkommen zu heißen, als wäre er Christus selbst. In den kommenden sechs Tagen wurde die ganze Insel zu einer Art Meditation. Von 22 Uhr abends bis 8 Uhr wurde geschwiegen; schon um 6 Uhr gab es Yoga, und dreimal pro Tag gemeinsame Meditation. Darüber hinaus war ein ganzer Tag nur dem Schweigen und Meditieren gewidmet: ein seltsames “Forschungsinstitut”. Es wurde aber auch viel gesprochen. Neue Forschungsergebnisse und Ansätze aus der Neurowissenschaft, Philosophie oder Anthropologie wurden dargestellt. Zu den Rednern gehörten u.a. Thomas Metzinger, Wolf Singer und Tanja Singer sowie Matthieu Ricard und Rinpoche Tsoknyi Gyatso. Jüngere Forscher haben ihre Arbeiten meistens in „Postersessions“ dargestellt. Im Mittelpunkt stand der Versuch, empirische Wissenschaft in Verbindung mit dem inneren Meditationsvorgang zu bringen. In diesem Versuch zeigen sich die Herausforderungen der heutigen kontemplativen Wissenschaft. Neue Untersuchungen deuten z.B. darauf hin, dass, wenn es um die Heilung von Depressionen geht, Meditation nicht besserhilft als Psychopharmaka. Es gibt – außer der Entdeckung von Korrelationen zwischen Gehirnzuständen und meditativer Tätigkeit – kaum Versuche meditativ informierter Bewusstseinsforschung. Obwohl der Wunsch besteht, Meditationspraxis und Forschung zu vereinen, kommen sie nicht wirklich zusammen. Und wo war auf dieser Insel die Anthroposophie? Könnte sie überhaupt hineinpassen? Vielleicht wird hier das Rad neu erfunden, vielleicht auch nicht. Ein Wagen jedenfalls braucht mehr als ein Rad.
Vom 30. Oktober bis 2. November 2014 fand dann in Boston das jährliche International Symposium for Contemplative Studies mit 1500 Teilnehmern und einem gewaltigen Programm statt. Es wurden die neuesten Forschungsergebnisse einer „contemplative science“ vorgestellt und besprochen, und das Knüpfen von Kontakten spielt auf solchen Symposien eine Hauptrolle. Der Dalai Lama war anwesend und gab einen Rückblick auf die Begegnung zwischen Buddhismus und Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten. In Erinnerung blieb seine Aussage, dass die Wissenschaft bis jetzt keinen Einfluss auf seine geistige Praxis gehabt hat. Auch hier sind die Welten also immer noch völlig getrennt. Die Hauptperspektive der „contemplative science“ bleibt weiterhin die klinische Untersuchung.
Am 8. Oktober 2014 fand in Frankfurt das mittlerweile fünfte vom Institut für anthroposophische Meditation veranstaltete Kolloquium „Anthroposophische Meditation und akademische Meditationsforschung“ statt. Hier finden sich anthroposophische Meditationsforscher zusammen mit akademischen Meditationsforschern um den Gießener Wissenschaftler Ulrich Ott, der durch sein Buch „Meditation für Skeptiker“ weithin bekannt wurde. Ein Bericht findet sich hier (am unteren Ende).
Am 12. Dezember 2014 hat in Stuttgart das von Christoph Hueck veranstaltete Forschungskolloquium „Vorstellung und Imagination – Gemeinsamkeiten und Unterschiede“ stattgefunden. Beiträge gab es von Dorian Schmidt, Dirk Kruse, Manfred Schleyer, Anna-Katharina Dehmelt, Nikolaus Heidorn und Terje Sparby. Die Beiträge waren in sich überzeugend und konsistent, aber auch recht unterschiedlich in ihren Ansätzen. Ein ausführlicher Bericht von Stephan Stockmar findet sich in der Monatszeitschrift Die Drei.
Sowohl in den anthroposophischen Wahrnehmungsübungen wie auch im Gespräch mit anderen Meditationsrichtungen und in fast allem, wovon wir in diesem Newsletter berichtet haben, zeigt sich, dass die Anthroposophie für eine Diesseits-Spiritualität steht, die von einem in der Welt der Erscheinungen gegründeten Monismus (= Philosophie der Immanenz) getragen wird. Darin unterscheidet sie sich von anderen Ansätzen, manchmal radikal, wenn die letzte Wirklichkeit in der Stille, im Nichts oder in der Transzendenz gesucht wird und das Individuum als zu überwindendes gilt, manchmal graduell, wenn alle Wirklichkeit im in seinen Qualitäten erspürbaren Jetzt und die Evolution als von uns zu Gestaltende gesehen wird. Dass Steiner für diese Diesseits-Spiritualität von Anfang an einem roten Faden folgte, den er auch in seinen theosophischen Zeiten zu halten versuchte, hat die neue Ausgabe von „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ wiederum gezeigt. Aber vor allem im theosophischen Gewande ist er nicht immer einfach zu finden. Und so mag ihn abschließend eine Briefstelle in Erinnerung rufen, mit der Rudolf Steiner am 1. November 1894 Eduard von Hartmann für dessen Anmerkungen zu Steiners „Philosophie der Freiheit“ dankt:
„Ich empfinde es auch als einen Mangel meines Buches, dass es mir nicht hat gelingen wollen, die Frage ganz klar zu beantworten, inwiefern das Individuelle doch nur ein Allgemeines, das Viele ein Eines ist. Aber dies ist vielleicht die schwierigste Aufgabe einer Philosophie der Immanenz. … Die ganze Schwierigkeit scheint mir darin zu liegen, dass unser L e b e n ein i n d i v i d u e l l e s, unsere Betrachtung als denkende eine ins A l l g e m e i n e gehende ist; beide Standpunkte scheinen mir aber im höheren Sinne wieder einer Vereinigung fähig zu sein, indem wir – zwar n i c h t in m y s t i s c h e r , wohl aber in logisch-ideeller Weise – das Individuelle des Bewusstseins abstreifen und erkennen, dass wir i m D e n k e n eigentlich gar nicht mehr Einzelne sind, sondern lediglich ein allgemeines Weltleben mitleben. Obwohl ich ein Feind aller Mystik bin, scheint mir hier der l o g i s c h e K e r n der mystischen Lehren zu liegen.“
Die ‚logisch-ideelle Weise‘ in Weisen konkreter Erfahrung umzuwandeln, blieb Steiners Suchen in seiner Konzeption von Schulung und Meditation: die Verbindung von Individuellem und Allgemeinem, von Vielem und Einem, in einer Immanenz, die beide ineinander hält anstatt das eine auf Kosten des anderen absolut zu setzen.
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