Goetheanum Meditation Initiative und die Meditationen der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft – Meditation in der Philharmonie Berlin, die Liebe zu anderen spirituellen Strömungen und das übersinnliche Wahrnehmen – Sommertagung in Zürich, übersinnliches Wahrnehmen und die Spiritualisierung des Denkens – Ausbildung Bildekräfteforschung – Hartmut Traub über die innere Kontinuität von Philosophie und Anthroposophie – Erstes Symposion des Mind&Life-Instituts in Europa – Gründung zweier Akademien – Neue Bücher. Von Anna-Katharina Dehmelt und Terje Sparby.
Wenn auch mit einiger Verspätung möchten wir doch noch von einigen Ereignissen der Sommerzeit berichten. Wir beginnen mit eher internen Vorgängen und daraus resultierenden Fragestellungen hinsichtlich anthroposophischer Meditation und arbeiten uns langsam zu weitreichenderen Fragen und Hinweisen durch. Wegen des ausgefallenen August-Newsletters ist der Umfang diesmal beträchtlich – wir haben versucht, Ihnen dennoch einen raschen Überblick zu ermöglichen. Hinter den Links wartet dann weitere Fülle und Vertiefung.
Vom 4. bis 7. Juli 2013 fand in Dornach das vierte Treffen der Goetheanum Meditation Initiative Worldwide statt. Hier trafen sich Menschen, die auf dem Gebiet der anthroposophischen Meditation unterrichtend oder forschend tätig sind. Die Erweiterung der Runde von 80 auf 160 Menschen hatte gegenüber dem bisherigen Netzwerk-Charakter einen stärkeren Tagungsstil zur Folge, in dem berichtet und vorgestellt, aber gegenüber den vorigen Treffen weniger ausgetauscht und gemeinsam geforscht wurde – das ist wohl der Preis einer so weitreichenden Erweiterung. Sichtbar wurde eine große Zahl von Initiativen und Angeboten weltweit, sowohl mit Kurs- wie auch mit Forschungscharakter. Beabsichtigt ist, künftig insbesondere diese Initiativen zu unterstützen und zu stärken. Wie die strömungs- und länderübergreifende Zusammenarbeit weiterhin gelingen kann, ist derzeit noch offen. Arthur Zajonc und Elizabeth Wirsching haben die Kerngruppe, die die bisherigen Treffen vorbereitet hat, verlassen, was insofern bedauerlich ist, als insbesondere diese beiden Persönlichkeiten der Initiative einen weltoffenen und allgemein-menschlichen Charakter gegeben haben.
Wie auch bei den vorigen Treffen war die Teilnahme an die Mitgliedschaft in der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft gebunden. Auch auf dem Treffen selbst bildete die Arbeit mit den Meditationen der Freien Hochschule das gemeinsame Zentrum. Dieses Vorgehen entspricht den Intentionen, die Rudolf Steiner mit der Einrichtung der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft hatte. 80 Jahre später stellt sich jedoch die Frage, ob es noch geeignet ist, die Bewegung anthroposophischer Meditation in der Gegenwart einzufangen. Hinzu kommt außerdem eine gewisse Differenzierung zwischen Menschen, die ganz im Meditationsweg der Freien Hochschule – der von Rudolf Steiner ja nicht für die Öffentlichkeit gedacht war – aufgehen und Menschen, die in ihrer Arbeit (auch) von anderen Anknüpfungspunkten wie den Anleitungen zu Meditation und geistiger Forschung in Steiners veröffentlichten Büchern ausgehen. Hier herrscht ein noch nicht ganz durchgearbeitetes Spannungsverhältnis über die Bedeutung verschiedener Zugänge zur anthroposophischen Meditation.
Einen schönen Eindruck von der Arbeit mit den Meditationen der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft gibt das Interview, das Wolf-Ulrich Klünker mit Dr. Armin Scheffler für die Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland (Seite 1+2) geführt hat. Über den öffentlichen Umgang mit den Meditationen der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft gibt es auch 21 Jahre nach deren Veröffentlichung im Rudolf Steiner Verlag noch keinen Konsens innerhalb der Freien Hochschule. Unabhängig davon zieht die Arbeit mit den Meditationen der Freien Hochschule immer weitere Kreise, nicht zuletzt durch die preisgünstige und gut kommentierte Ausgabe des Meditationsweges der Freien Hochschule im Perseus-Verlag .
Vom 27. bis 30. Juni 2013 fand im Kammermusiksaal der Philharmonie in Berlin der von der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland veranstaltete Kongress „Wie wird der Geist wirksam?“ statt, dessen zweiter Tag dem Thema „Meditation“ gewidmet war – eine Premiere in diesem Zusammenhang! Auch wenn die Tagung das mit dem Veranstaltungsort angesprochene allgemeine Berliner Kulturpublikum kaum erreichte und die Anthroposophen weitgehend unter sich blieben, herrschte eine festliche und weltoffene Stimmung. Arthur Zajonc, hinsichtlich des Themas Meditation bekannt und in der anthroposophischen Szene maßgeblich durch sein Buch „Aufbruch ins Unerwartete“, gab den Hauptbeitrag. Konzentriert und durchlässig schilderte er die Grundelemente der anthroposophischen Meditation. Der Duktus seines Vortrages war geprägt von Offenheit gegenüber anderen geistigen Erfahrungen und Richtungen. Der für die anthroposophische Bewegung so entscheidende Zeitgeist mit dem Namen Michael „ist nicht das Eigentum der Anthroposophischen Gesellschaft“. Es gehört zum Wesen geistiger Erfahrung, dass sie keine Autorität über die geistigen Erfahrungen anderer beanspruchen kann. Deshalb ist das Interesse an und die Liebe zu anderen als den selbstbeschrittenen geistigen Wegen so wichtig – schon zwischen den verschiedenen anthroposophischen Zugängen, vor allem aber auch zu anderen spirituellen Strömungen. Daraus können geistige Freundschaften entstehen. Gewicht und Tiefe erhielt dieser Appell dadurch, dass Arthur Zajonc als ehemaliger Generalsekretär der Anthroposophischen Gesellschaft der USA und heutiger Präsident des Mind & Life Institutes selber an einem Knotenpunkt verschiedener spiritueller Strömungen steht und diesen gestaltet.
An diesen Vortrag schloss sich ein Podiumsgespräch an, an dem unter der Moderation von Hartwig Schiller Arthur Zajonc, Michael Bangert, Tho Ha Vinh, Constanza Kaliks und Bodo von Plato teilnahmen. Die beiden letzteren Persönlichkeiten, die am Goetheanum in Dornach tätig sind, stellten Gesichtspunkte der Anthroposophie in den Vordergund, Tho Ha Vinh, Anthroposoph und als Zen-Buddhist Schüler von Tich Nhat Han brachte insbesondere die Perspektive des Zen ein und Michael Bangert, Theologe und Pfarrer an der christkatholischen Kirche in Basel sprach aus seiner spirituellen Erfahrung mit dem Jesus-Gebet . Das Gespräch fand in tastender Atmosphäre statt, jeder konnte sich frei aussprechen. Eindrücklich zu erleben war, wie die Vertreter von Zen und Jesusgebet auf Jahrhunderte kommunizierter und reflektierter Erfahrungen bauten, während die Vertreter der Anthroposophie etwas ganz Junges und Unverbrauchtes zur Sprache zu bringen versuchten.
Die Wochenschrift „Das Goetheanum“ hat am 6. Juli 2013 je einen Kernsatz der Teilnehmer des Podiumsgespräches veröffentlicht:
Meditatives Leben kennt wie die Freundschaft kein Ende. Sie ist eine neue Begegnung mit sich selbst, die Brücke zwischen Anfänglichkeit und Dauer (Constanza Kaliks).
Die nächsten Schritte in unserer Krisenzeit gelingen nur mit einem neuen Menschenbild, das aus dem meditativen Erlebnis der Kraft des Ichs sich bildet (Tho Ha Vinh).
Die Dinge verlieren ihren Wert und die Werte verlieren ihre Dinglichkeit. Inneres Leben tritt an die Stelle, inneres Leben, um von Neuem empfinden zu können (Bodo von Plato).
Was ich in der Meditation erfahre, habe ich nicht für mich gewonnen. Es geht in der Meditation immer um das ‚Du’. Man findet es, wenn man sich eine Stunde jeden Tag an den Grund seiner Seele begibt (Michael Bangert).
Wie kommt man zur Liebe? Diese Parzivalfrage stellt sich in jedem Moment der Unfreiheit. Meditation ist die Erziehung, ist die Selbsterziehung zur Liebe (Arthur Zajonc)
Soeben brachte der Briefträger ein Sonderheft der von der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland herausgegebenen Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland, in dem die ganze Tagung sorgfältig dokumentiert ist – auch Arthur Zajoncs Vortrag und die anschließende Podiumsdiskussion sind dort nachzulesen. Das Heft ist allerdings (noch) nicht online zugänglich.
Seit der Tagung in Berlin ist das Thema Meditation, insbesondere unter dem Gesichtspunkt ‚übersinnliche Wahrnehmung’, in den Mitteilungen weiter bearbeitet worden. Ausgangspunkt ist das Kolloquium „Übersinnliche Wahrnehumg“, das im Mai 2013 zum zweiten Mal stattgefunden hat und von dem Angelika Oldenburg mit „Methoden und Schulung der übersinnlichen Wahrnehmung“ (Seite 6) und Jasmin Mertens mit „Anthroposophie und übersinnliche Wahrnehmung“ (Seite 4) berichten. Seither stellt jeden Monat einer der Teilnehmer des Kolloquiums seinen Ansatz vor. Im Oktober war das Thomas Mayer mit „Was ist das spezielle der Anthroposophie zum Thema übersinnliche Wahrnehmung und Meditation“ (Seite 5), im November Jasmin Mertens mit „Wie erkenne ich den Unterschied zwischen eigener Vorstellung und Imagination“ sowie ein Bericht von Andreas Neider „Genaues meditatives Wahrnehmen – Differenzieren und Forschen“ über ein Übungsseminar mit Dirk Kruse (Seite 3+4).
Die Frage nach übersinnlicher Wahrnehmung und deren Verhältnis zu einer Spiritualisierung des Denkens stellte sich auch bei der Sommertagung in Zürich. Während der sehr gelungenen, intensiven und intimen Beschäftigung mit der Welt des Vorgeburtlichen und des Nachtodlichen gab es Vorträge und Seminare mit verschiedensten Ansätzen. Als nach einer Reihe von Vorträgen, in denen von Frank Burdich, Karsten Massei und Thomas Mayer die übersinnliche Wahrnehmung in den Vordergrund gestellt wurde, der Philosoph Stephan Brotbeck die Methoden übersinnlicher Wahrnehmung vorsichtig in Frage stellte, entstand unter den Betroffenen das deutliche Interesse, das Verhältnis von eher wahrnehmungsorientierter geistiger Forschung zu Methoden, die die Spiritualisierung des Denkens in den Vordergrund stellen, zu klären. Welche Art von Hellsichtigkeit wird auf den verschiedenen Wegen entwickelt? Wie stehen die Ergebnisorientierung der sogenannten ‚Wahrnehmer’ und die Prozess- bzw. Aktivitätsorientierung der sogenannten ‚Denker’ zu einander? Handelt es sich hier überhaupt um Unterschiede oder lediglich um verschiedene Ausschnitte? Deutlich wurde auch, dass dem bereits seit Jahren bestehenden Austausch unter den sogenannten ‚Wahrnehmern’ auf Seite der ‚Denker’ noch nichts entspricht. Eine Zusammenarbeit unter geistig forschenden Menschen, die ihren Zugang in erster Linie über das Denken gefunden haben, ist ins Auge gefasst.
Auf Seiten der ‚Wahrnehmer’ möchten wir Menschen, die sich selber auf den Weg machen wollen, auf die am 17. Januar 2014 im zweiten Durchgang beginnende Ausbildung „Bildekräfteforschung“ hinweisen. Die schwerpunktmäßig auf übersinnliche Wahrnehmung gerichtete Ausbildung integriert auch Elemente einer mehr an den Goetheanismus bzw. das Denken anschließenden Schulung.
Sicherlich auf der Seite der ‚Denker’ anzusiedeln ist ein Beitrag des Fichte-Kenners Hartmut Traub, dessen Buch „Philosophie und Anthroposophie“ insbesondere Steiners Bezugnahme auf Fichte behandelt und in anthroposophischen Kreisen rege diskutiert wurde. Im Rahmen eines Kolloquiums an der Alanus Hochschule am 7. Oktober 2013 referierte Hartmut Traub über „Schwierigkeiten und Chancen einer Vermittlung von Philosophie und Anthroposophie im Werk Rudolf Steiners“. Nachdem Traub im ersten Teil seines Beitrages an drei Beispielen zeigt, wie sinnvoll – wenn auch schwierig – es ist, „sich mit Steiners frühen philosophischen Schriften unter Verzicht auf deren spätere anthroposophische Reinterpretation auseinander zu setzen“, geht es im zweiten Teil um „Chancen für eine Vermittlung von Philosophie und Anthroposophie im Werk Rudolf Steiners“. Dabei interpretiert Traub den anthroposophischen Schulungweg und Meditationsansatz als emanzipatorische Erfahrungswissenschaft des Geistes:
„In Steiners von Goethe her entwickelten, universellen Ansatz eines erfahrungsorientierten ‚gegenständlichen Denkens’ einerseits sowie dem auf Descartes zurückreichenden Axiom des ‚Ich-denke’ und dessen Fortführung in der Philosophie des Deutschen Idealismus andererseits sehe ich die erste große Chance für die Anthroposophie, sich gemeinsam mit der idealistischen Grundlegung von Steiners philosophischem Denken als eine attraktive Alternative gegenüber der herrschenden analytischen und neurobiologischen Bewusstseinsund Geistesphilosophie zu positionieren.“
Traub bezieht sich dabei auf Arthur Zajonc ebenso wie auf Steiners „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ und kommt zu dem Ergebnis:
„Die Vermittlung von Geistesschulung anthroposophischer Provenienz und existenzbezogener Denkschulung, wie sie uns aus der klassischen Philosophie der Neuzeit überliefert ist, verschafft der Anthroposophie den Rückhalt am Prinzip der Wissenschaftlichkeit, also jener Denkungsart, die die Philosophie der Neuzeit gegenüber den unterschiedlichen Strömungen der Mystik, der romantischen Schwärmerei oder gegenüber sonstigen Irrationalismen auszeichnet.“
Die Arbeit von Traub enthält eine Reihe lohnender Gedanken, die den Übergang von der idealistischen Philosophie zur anthroposophischen Meditation neu beleuchten – ein lesenswerter Beitrag!
Vom 10. bis 13. Oktober 2013 hat in Berlin das Mind and Life Europe Symposium for Contemplative Studies stattgefunden. Der Ursprung des Mind and Life Instituts waren die Dialoge zwischen dem Dalai Lama und dem Neurowissenschaftler Francisco Varela, der u.a. die Strukturähnlichkeiten zwischen Gehirnzuständen und subjektiven Erfahrungen erforscht. Der heutige Leiter des Mind and Life Instituts in den USA ist der nun schon mehrfach erwähnte Arthur Zajonc. Kürzlich hat das Mind and Life Institut sich nach Europa erweitert und ein Büro in Zürich eröffnet. Das Symposium in Berlin war die erste große Veranstaltung in Europa und ist als eine Art Inauguration zu verstehen.
Teilgenommen haben mehr als 400 Menschen. Der thematische Schwerpunkt war die persönliche und gesellschaftliche Umwandlung unter der Perspektive der Kontemplation. Wie zum Beispiel kann die Praxis der Achtsamkeit (Mindfulness) zur grundlegenden Erschütterung unseres ökonomischen Systems beitragen? Damit hat sich vor allem Tania Singer, Leiterin der Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, beschäftigt. Die Praxis der Achtsamkeit führt zu einem Handeln aus Mitgefühl – man versteht sich im geringeren Grad als ein egoistisches Wesen – und das sprengt nicht nur den Rahmen des heutigen ökonomischen Denkens sondern potentiell auch das faktische Wirtschaftssystem. Wolf Singer, ehemaliger Leiter des Max Planck Instituts für Gehirnforschung in Frankfurt, hat die sogenannte Neuroplastizität, die Formbarkeit der Gehirnmaterie im Bezug auf Verhaltensmodifikationen, untersucht. Einige basale Gehirnfunktionen sind nicht formbar, andere sind aber formbar, bis zu einem gewissen Alter oder auch lebenslang. Die Forschungen fördern immer mehr zu Tage, wie wir das Gehirn durch äußere Eingriffe beeinflussen können. Singer hat die Frage aufgeworfen, ob man junge Menschen gegen totalitäres Denken impfen sollte, wenn man es könnte — anscheinend ist die Möglichkeit von so etwas nicht mehr völlig undenkbar.
Die Tagung bot ein weites inhaltliches Spektrum. Vor allem waren die interdisziplinären Perspektiven immer vorherrschend. Hier soll nur einiges erwähnt werden. Mark Williams, Professor für klinische Psychologie in Oxford, hat Ergebnisse der Achtsamskeitforschung im Bezug auf die Behandlung von Depressionen dargestellt. Es ist deutlich, dass Achtsamkeit hier sehr wirksam ist, und zwar aufgrund der Mediation selbst und nicht z.B. wegen der sozialen Beziehungen, die durch die Therapie entstehen. Der buddhistische Mönch Matthieu Ricard hat über die grundlegend altruistische Anlage des Menschen gesprochen. Obwohl er selbst seine meditierendes Gehirn oft für Messungen und Forschungen zur Verfügung gestellt hat, hat er auch die Frage aufgeworfen: Was nützt das alles? Wie macht es die Welt besser?
17 jüngeren Forschern wurde die Möglichkeit angeboten, ihre Arbeiten darzustellen. Die Präsentationen waren aufgeteilt in klinische, neurowissenschaftliche und begriffliche Perspektiven. Unter den begrifflichen Perspektiven wurde unter anderem das Verhältnis von Kontemplation und Kreativität besprochen und eine Studie zu Wahrnehmungsänderungen bei fortgeschrittenen Mönchen dargestellt. Terje Sparby hat von der Begegnung von Meditation und Forschung in einer Kontemplativen Wissenschaft gesprochen. Am Beispiel der in Dorian Schmidts Buch „Lebenskräfte – Bildekräfte“ wiedergegebenen Weizenstudie wurde mittels bildhaft dargestellter, übersinnlich wahrgenommener Kräfteströmungen gezeigt, dass die Idee einer meditativen Erforschung der Natur sich konkret umsetzbar ist. Perspektiven mit anthroposophischem Hintergrund sind im Rahmen des Mind and Life Instituts eher selten, aber sie können sich gut einfügen.
Ansonsten gab es im Laufe der Tagung viel Zeit für Gespräch. Die Tage begannen mit Yoga und geführter Meditation. Es gab auch Gruppen, wo die Teilnehmer den von Otto Scharmer entwickelten U-Prozess mit Bezug auf die Tagungsinhalte und deren konkreter Umsetzung ausprobieren konnten.
Auch kritische Stimmen waren zu hören. Rupert Gethin, Professor für buddhistische Studien in Bristol, warf die Frage auf, ob der Buddhismus nicht eigentlich ganz weltfremd sei – worin aber gerade die Stärke des religiösen Bewusstseins läge? Was, wenn die Welt grundlegend schlecht ist? Warum soll man ausgerechnet die Welt, wie sie ist, als Maß für das Gute nehmen? Zeigen nicht die Religionen, dass ein ganz anderes, ein neues, geistiges Leben möglich ist, und dass die Bedingung dafür ist, dass man sich eben von der Welt entfernen muss? Kritische Stimmen gab es auch zur Bedeutung der Achtsamkeit in der Wirtschaft – gibt es doch durch problematische Anwendungen der Achtsamkeitsmeditation, zum Beispiel auf Soldaten: man tötet ‚besser’, wenn man fokussiert und unberührt ist.
Insgesamt ergibt sich aus der Tagung ein Bild von einem Forschungsgebiet, das vor allem unter interdisziplinärer Beleuchtung und mit Bezug auf seine praktische Umsetzung immer lebendiger wird. Vielleicht ist das gerade beim Thema Kontemplation ein Paradox. Aber wenn man bedenkt, dass sich Mönche und Nonnen in der Geschichte sowohl mit dem Bewusstsein (Mind) als auch mit dem Leben (Life) auseinandergesetzt haben, verschwindet das Paradox vielleicht. Neu in diesem Zusammenhang ist aber die westliche Wissenschaft, die dieser Tradition begegnet und mit ihr in einen Dialog getreten ist, der zu tiefen persönlichen und gesellschaftlichen Wirkungen führen kann. Die Zukunft des Mind and Life Instituts in Europa scheint vielversprechend zu sein.
Am 7. September 2013 haben Sebastian und Fedelma Gronbach ihre Akademie im Schloss Gelsdorf bei Bonn eröffnet. Neben Dru Yoga, Voice Dialogue und den „weltweit besten Methoden der Meditation“ findet man dort auch Elemente der anthroposophischen Meditation. Schloss Gelsdorf ist ein Ort der Erquickung und spiritueller Vielfalt mit dem Motto „Mach dein Glück – zum Wohle des Ganzen“.
Und eine weitere Akademie befindet sich in Gründung: auf der 8. Herbstakademie , die gemeinsam von der anthroposophischen Monatszeitschrift Info 3, von EnlightenNext und von DIA Die Integrale Akademie getragen wird, war zu erfahren, dass man die bisher ein- bis zweimal im Jahr stattfindenden Begegnungen zwischen verschiedenen evolutionär orientierten spirituellen Strömungen verstetigen, vertiefen und auch erweitern möchte. Das Gespräch mit anderen spirituellen Strömungen hat sich für das Nachdenken über Anthroposophie und anthroposophische Meditation in den letzten Jahren bereits als außerordentlich fruchtbar erwiesen.
Zum Abschluss möchten wir Sie noch auf eine Reihe neu erschienener Bücher hinweisen – kurz, eine spätere Besprechung bleibt aber vorbehalten.
Rudolf Steiner: Die Rosenkreuzmeditation. Hrsg. von Christiane Haid. Der Band umfasst nahezu alles, was Rudolf Steiner im Zusammenhang mit der Rosenkreuz-Meditation gesagt hat. Zur Anordnung des Materials heisst es in der Einführung: „Rudolf Steiner hat den Bildaufbau und die Symbolik über Jahre entwickelt. Ihre ausgedehnte Entstehungsgeschichte (Kap. I und II) und ihr bedeutender thematischer Umraum reicht vom Rosenkreuzerspruch Ex Deo nascimur … (Kap. II, VII) über vielfältige Darstellungen in Vorträgen, Zusammenfügungen mit anderen Bild-Meditationen (Kap. IV, VI und VII) bis hin zu den die Bild-Meditation begleitenden Spruchdichtungen (Kap. V).“ Ein Buch, das für Meditierende der Rosenkreuz-Meditation eher zur gemächlichen Aneignung als zum Durchlesen geeignet ist, für den unbefangenen Meditationsforscher aber hinsichtlich der Dichte, in die Steiner das Motiv des Rosenkreuzes eingebettet hat, eine Überraschung nach der anderen bereithält.
Der im Verlag Stiftung Rosenkreuz erschienene Sammelband Stufen der Wandlung – Die Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz – Anthroposophie und Rosenkreuz im Dialog fasst die Beiträge der beiden gleichnamigen Tagungen der Stiftung Rosenkreuz in Hamburg und Calw zusammen. Unter verschiedenen Gesichtspunkten wird auf die Chymische Hochzeit des J.V.Andreae geschaut, wobei die historische Einordnung und die alchemistischen Aspekte im Vordergrund stehen. Die Beiträge des Sammelbandes stammen von Holger Ehrhardt, Corinna Gleide, Steffen Hartmann, Rolf Speckner, Roger Kalbermatten, Ursula Packhäuser, Angela Papp, Joost Ritman und Ulla Schreiber.
Der Neurowissenschaftler, Meditationsforscher und Yoga-Lehrer Ulrich Ott hat seinem vielbeachteten Erstling Meditation für Skeptiker nun Yoga für Skeptiker folgen lassen. Wer schon immer einmal wissen wollen, wie genau die Vielfalt yogischer Praxis aussieht, welche Rolle die Asanas spielen, was der Unterschied zwischen dharana, dhyana und samadhi ist, wo genau die Quellen dafür zu finden sind und wie man die Übungen macht, der wird hier sachlich und fundiert belehrt. Was es von Seiten heutiger Wissenschaftlichkeit dazu zu sagen gibt, erfährt man und was es mit den hellsichtigen Einsichten in frühere Erdenleben oder der Erkenntnis subtiler, verborgener oder weit entfernter Dinge auf sich hat: „Diese übernatürlichen Kräfte sind Hindernisse für die Versenkung, aber sie erscheinen im Zustand der Aktivität als ‚Vollkommenheiten’“, heißt es bei Patanjali, und weiter: „Durch Verzicht selbst auf diese Vollkommenheit werden alle Keime der Unreinheit zerstört, und er erlangt die völlig Freiheit.“ Was natürlich zu weiterer wissenschaftlicher Erforschung geführt hat, worüber wir ebenfalls unterrichtet werden. Besser als auf diesen 280 Seiten kann man über das weite Feld des Yoga wohl kaum informiert werden.
Bezüglich des Verständnisses von Rudolf Steiners Werk hat Jost Schieren kürzlich die Unterscheidung von Mitteilungsesoterik und Schulungsesoterik (Seite 3) eingeführt.
„Wir haben es ja mit einer gewissen Problematik im Werk Steiners zu tun, zum einen die von ihm geschriebenen Bücher und zum anderen die Vorträge, Zyklen, das sind zwei verschiedene Welten. In seinem schriftlichen Werk geht er methodisch und sprachlich sehr fein und sauber, und auch entwickelnd vor. Die Zyklen sind demgegenüber zum Teil sehr situativ, zum Teil auch sehr publikumsbezogen, auch weniger entwickelnd, weil er ja Vieles voraussetzen konnte. Aber das ist wie ausgeblendet, wenn man das jetzt in gedruckten Büchern zur Kenntnis nimmt, so dass manches tatsächlich wie eine Offenbarung wirkt und dadurch auch in der Rezeption als Offenbarung aufgenommen wird. Man muss wirklich scharf unterscheiden: Wenn man die Esoterik Steiners nimmt, also dasjenige, was aus geistiger Einweihung heraus mitgeteilt worden ist, dass das eben keine Mitteilungsesoterik, sondern eine Schulungsesoterik ist.“
Und David Marc Hoffmann, Leiter des Rudolf Steiner Archivs in Dornach, sagt im aktuellen Heft von Info3 (leider nicht online):
Die Vortragspublikationen sind „nur die Asche eines stattgefundenen Feuers, einer Performance, die ‚Vortrag’ heißt. Ich will zeigen, dass die Vorträge eigentlich nur einmal publiziert worden sind: nämlich genau in dem Moment, als sie gehalten wurden – und sither nicht mehr. Im besten Fall haben wir im Druck einen redigierten Wortlaut eines Vortrags, aber nicht den Vortrag selbst! Der Vortrag als solcher war ein einmaliges Ereignis, auch metaphysisch gesehen. Zu einem Vortrag gehören zentral die Anwesenheit des Menschen, sein Wirken, seine Gestik, seine Aura, die man unbewusst wahrnimmt, sowie der Zeitpunkt und der Ort des Geschehens und das jeweils spezifische Publikum.“
Hier kündet sich ein neues Verständnis des Werkes Rudolf Steiners an, flankiert von der beginnenenden historisch-kritischen Erforschung dieses Werkes sowie der Auseinandersetzung mit der akademischen Welt und anderen spirituellen Strömungen. Einen der Kontexte, in den dieses Werk gehört, hat jetzt der Esoterikforscher Wouter Hanegraaff zwar zunächst nur auf englisch, ansonsten aber in leicht zugänglicher Weise aufgespannt: Western Esotericism – A Guide for the Perplexed gibt auf 200 Seiten einen Überblick über die Geschichte der westlichen Esoterik, ihre eingebauten Überzeugungen, ihr Wissen und ihre Praxis – und das unter der Berücksichtigung der ganzen Breite von Gnosis und Hermetik über Astrologie, Alchemie, Magie und Rosenkreuzertum bis zu Theosophie, Anthroposophie, Okkultismus und Spiritismus. Im September-Heft von Info3 schrieb Ansgar Martins: „Noch nie lag eine so konzise Einführung in das Thema vor, die mit einer umfangreichen kommentierten Bibliographie auch einen repräsentativen Überblick über die aktuelle Forschungssituation bietet.“
Wer es gerne etwas konkreter hat, sei auf das neue Buch des anthroposophischen Arztes Frank Meyer: Burnout – Neue Kraft schöpfen verwiesen. Es enthält eine Menge kleiner, auch vorbeugender Übungen, unter anderem Atem-, Wahrnehmungs- und Achtsamkeitsübungen – und auch die beiden Übungen des Loslassens und des aktiven Denkens, die Frank Meyer im Mai-Heft von Info 3 beschrieben hatte:
„Auch wenn beide hier vorgestellten Übungen, die des Loslassens der Gedanken und die des selbsttätigen, aktiven Denkens, aus unterschiedlichen Traditionen stammen (Asien und Europa), so ergänzen sie sich in ihren gesundheitsfördernden Wirkungen doch perfekt – vergleichbar mit Ausatmung und Einatmung. Leben braucht beides: Konzentration und Loslassen. In dieser Polarität liegt der Schlüssel zur Gesundheit.“
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